Orgel Neugalmsbüll
Als der Architekt Heinrich Moldenschart die St. Gallus-Kirche entwarf, war ihm wohl nicht bewusst, wie viel Platz eine Orgel einnehmen würde. So sah er zwar einen Platz für eine Orgel in seinem Entwurf vor, dimensionierte diesen aber zu klein für die gewünschte Größe der Orgel. So schuf die dänische Orgelbaufirma Marcussen & Søn im Jahre 1891 mit ihrem Op. 199 eine Orgel mit 8 Registern und einer einzigartigen und faszinierenden technischen Anlage. Das Instrument folgt zwar dem für Marcussen zu der Zeit typischen Baustil, verfügt aber durch die beengten Platzverhältnisse über eine raffinierte mechanische Anlage, welche trotz vieler Umlenkungen und weiten Wegen zu den Ventilen leicht spielbar ist und reibungslos funktioniert. Desweiteren ist die Pfeifenanordnung anders als üblich: Die Pfeifen stehen nicht wie üblich horizontal hinter dem Prospekt, sondern senkrecht in dem Turmraum hinein, auf der linken Seite die C-Seite, auf der rechten die Cis-Seite und in der Mitte ein breiter Stimmgang. Diese einzigartige Konstruktion machte es möglich, eine Orgel mit 8 Registern, darunter zwei 16'-Registern und einem voll ausgebauten Prinzipal 8' zu bauen. Den prächtig geschnitzten Prospekt schuf Heinrich Sauermann, welcher auch für die restliche Holzausstattung der Kirche verantwortlich ist.
Disposition 1891 - 1907
Principal 8', Bordun 16', Rohrflöte 8', Octave 4', Flöte 4', Octave 2'
Subbaß 16', Principal 8'
I/P, Octavkoppel
Bereits im Jahre 1905, also nur 14 Jahre nach Einbau der Orgel, wurde der Wunsch nach einem Streichregister laut, um den ohnehin schon weichen romantischen Klang noch orchestraler und fülliger zu machen. Zu dieser Zeit baute die Erbauerfirma Marcussen gerade eine neue Orgel in der benachbarten Horsbüller Kirche und so konnte im Jahre 1907 das Register Salicional 8', welches sich durch einen sehr streichigen und weichen Klang auszeichnet, eingebaut. Die vorhandene Okatve 2' wurde ausgebaut und vermutlich in der neuen Horsbüller Orgel wieder eingebaut.
So wies die Orgel ab 1907 folgende Disposition auf:
Disposition 1907 - 1977
Principal 8', Bordun 16', Rohrflöte 8', Salicional 8', Octave 4', Flöte 4',
Subbaß 16', Principal 8'
I/P, Octavkoppel
Im Jahre 1917 wurden die die stummen Prospektpfeifen der Orgel zur Herstellung von Kanonen für den 1. Weltkrieg eingezogen. Als Ersatz wurden silber lackierte Holzlatten eingebaut.
Der nächste Umbau geschah erst in den 1950er Jahren, als die Kirche mit Drehstrom ausgestattet wurde. Die alten Kastenbälge, welche immer von Balgtretern (sog. "Calcanten") bedient werden mussten, um die Orgel mit Luft zu versorgen, wurden stillgelegt. Die Firma Kemper aus Lübeck baute ein elektrisches Gebläse und einen neuen Schwimmerbalg ein. Die Kastenbälge verblieben stillgelegt an ihrem Platz im Raum rechts neben der Orgel.
Bereits zu dieser Zeit kam der Gedanke auf, die Orgel klanglich aufzuhellen und an den Zeitgeschmack anzupassen und weiter in den Turmraum zu verschieben, um mehr Platz für den Chor zu schaffen. Immer wieder machten verschiedene Firmen Angebote und Vorschläge, aber erst 1977 kann sich die Orgelbaufirma Andresen aus Kiel mit ihrem Angebot durchsetzen.
Die Umbauarbeiten orientierten sich stark am Ideal der Orgelbewegung, lassen aber die historische Anlage und den Pfeifenbestand weitestgehend unberührt. Der Spieltisch wurde geringfügig umgebaut, die alten Kastenbälge wurden entfernt und zwei neue Register wurden eingebaut: Eine Oktave 2' im Manual und ein Choralbaß 4' im Pedal. Letzterer steht im Prospekt, wodurch die Orgel nach 70 Jahren erstmals wieder über Prospektpfeifen verfügt. Das 2'-Register steht auf einer Extralade, welche sich unmittelbar hinter dem mittleren Prospektfeld befindet. Angesteuert wurden diese beiden Register über eigene Aluminiumtrakturen, welche an die historische Traktur angehängt wurden.
Disposition 1977 - 2022
Principal 8', Bordun 16', Rohrflöte 8', Salicional 8', Octave 4', Flöte 4', Octave 2'
Subbaß 16', Principal 8', Choralbaß 4'
I/P, Octavkoppel
Dieser Umbau enttarnt sich heutzutage leider als schlechte Maßnahme: Die beiden "neuen" Register fügen sich nicht in das historische Klangbild der Orgel ein, die Aluminiumtraktur ist porös und störanfällig und das Gesamtkonzept der Orgel ist nicht mehr stimmig. So wurde eine Restaurierung der Orgel nötig. Dabei sollte der Fokus auf den historischen Bestand und das damals von Marcussen vorgesehene Klangbild gelegt werden, ohne aber die Zutaten von 1977 außen vor zu lassen. Nach langen Überlegungen wurde beschlossen, dass die Oktave 2' von Andresen weiter bestehen bleibt, da in der ursprünglichen Disposition bereits ein 2'-Register vorhanden war. Die Pfeifen werden klanglich dem historischen Bestand angepasst. Der Choralbaß 4' hingegen wurde stillgelegt, da er sich nicht mit dem Gesamtklang der Orgel mischen konnte. Die Pfeifen im Prospekt bleiben stehen, sind nun aber stumm. So hat man einen guten Kompromiss gefunden, der die Zutaten aus den 1970ern als gewachsenen Bestand anerkennt.
Die Restaurierung führte 2022 die Firma Paschen Kiel Orgelbau GmbH aus Kiel durch. Die gesamte Orgel wurde gereinigt, es wurden zwei neue Schwimmerbälge eingebaut, die Aluminiumtraktur der Oktave 2' wurde durch eine Holztraktur ersetzt, die Manualklaviatur bekam einen neuen Belag und alle Pfeifen wurden intoniert und gestimmt. So verfügt die Orgel heute wieder über ihren kräftigen, romantischen und weichen Klang!
Disposition ab 2022
Principal 8', Bordun 16', Rohrflöte 8', Salicional 8', Octave 4', Flöte 4', Octave 2'
Subbaß 16', Principal 8'
I/P, Octavkoppel