45. Tag der Passionszeit, 29. März 2024 – Karfreitag
Es war ein großes Gedränge auf der Via Dolorosa, als wir den Kreuzweg Jesu durch die Altstadt nachgingen. Viele Menschen waren auf den Straßen unterwegs. So richtig Andacht fand ich nicht an den einzelnen Stationen, an denen Jesus mit dem schweren Kreuzesbalken auf dem Rücken stehengeblieben, zusammengebrochen oder Menschen getroffen haben soll, die ihm den Schweiß abwischten oder schließlich das Kreuz abnahmen.
Noch größer aber war das Gedränge hinein in die Grabeskirche. An der Stelle, wo man ein Stück vom Felsen Golgathas sehen sollte, auf dem das Kreuz gestanden hat, wurde man weitergeschoben, am Heiligen Grab innerhalb der Grabeskirche stand eine so lange Schlange an, dass wir es zeitlich nicht geschafft hätten uns da auch noch einzureihen. Und auch als ich jetzt wieder die Fotos von damals, vor 11 Jahren, betrachtete, merkte ich, wie sie alle mit recht unruhiger Hand geschossen wurden, auch zum Fotografieren war nicht richtig Zeit und Muse und Gelegenheit …
Damals habe ich an Ort und Stelle die ganze Wucht des Gedankens gar nicht so spüren können, der mich sonst manches Mal erfüllt, wenn ich die vier Berichte der Evangelien von der Kreuzigung Jesu lese, in den klassischen Jesus-Filmen diese brutalen Darstellungen der Kreuzigung sehe oder manchmal vor einem Kruzifix in einer Kirche stehe und daran denken muss: da hängt Jesus auch für mich! Das Kreuz hat er auch für mich getragen, für meine Schuld, aber auch für meine Hilflosigkeit, die mich manchmal umfängt, wenn ich mich wehrlos und ausgeliefert fühle. Oder in den Momenten, wo Gott einfach so weit weg zu sein scheint und ich mit Jesus am Kreuz rufen möchte: Gott, wo steckst du, warum hast du mich oder Menschen an meiner Seite scheinbar so verlassen, dass wir gar nichts spüren von deiner hilfreichen Nähe und Gegenwart …
Gestern war wieder so ein Moment, die Nachricht des Todes eines Menschen, plötzlich aus dem Leben gerissen, einige Jahre noch jünger als ich, und er hinterlässt Menschen, die in den letzten anderthalb Jahren schon zum wiederholten Male mit so einem schweren Verlust, so einem plötzlichen Abschied viel zu früh von einem Herzensmenschen konfrontiert wurden: Gott, warum bist du so weit weg, wie konntest du das zulassen, es war doch schon so viel Kummer und Leid und Schmerz und muss doch mal aufhören …
Und dann höre ich diese alten Worte aus der Bibel von Jesus: verraten und verkauft, alles wird ihm abgenommen, sogar noch das bisschen Kleidung, um das die Soldaten losen, und dann hängt er da, elend, der große Schmerzensmann, und findet doch noch Worte: „Mich dürstet!“ (und selbst diese kleine Barmherzigkeit, einem Sterbenden die Lippen mit Wasser abzutupfen, wird ihm verwehrt mit diesem Essigschwamm!), oder diese großen Sätze: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ – „ „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“ „Johannes, das ist deine Mutter. Frau, das ist dein Sohn!“ , mit denen Jesus im Sterben noch das Leben der anderen an seiner Seite ordnet, organisiert, für sie betet, ihnen etwas Großartiges zusagt, sie nicht allem hilflos überlässt. Und dann der Schlussakkord, die letzten Worte, die die vier Evangelien uns unterschiedlich überliefern, die von „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ über „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“ hin zu „Es ist vollbracht!“ reichen, wo sich eine so große Palette an Gefühlen widerspiegelt, wo Jesus sogar an Gottes Nähe selber zweifelt und doch nicht von ihm loskommt und hofft und glaubt und spürt, dass dies alles zu seiner Sendung irgendwie gehören muss.
Es ist das Kreuz, an das ich mich klammern will, wenn ich Gottes Wege nicht verstehe und doch spüre: ohne ihn kann ich jetzt noch viel weniger alles ertragen, er muss da sein, in der Tiefe, am äußersten Meer, dort, wo keine Hoffnung sich einstellen will und doch die Zusage gelten muss: „Siehe, ich bin bei dir alle Tage.“ Er muss da sein und es einmal alles in Ordnung bringen, was auf der Erde schief läuft, was wir Menschen Menschen antun. Er muss da sein, und es muss eines Tages alles gut werden, und so lange es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende und ist noch nicht alles endgültig vollbracht. Er muss da sein und ist am Wirken und hat uns nicht vergessen.
Karfreitagsgedanken, die ich weniger spürte an jenem Ort in Jerusalem vor 11 Jahren, aber an Tagen wie dem heutigen holen sie mich immer wieder ein.
Und wer mag: Wir können uns gerne nachher im Gottesdienst sehen, um 10.00 Uhr im Pflegeheim Nis Puk und dann in der Kirche zu Neugalmsbüll, 15.00 Uhr, zur Sterbestunde Jesu!
In dem Sinne: bleibt behütet!